JSF 04-2023i

Jugendschutz Forum 4|2023 10 | AUS DER PRAXIS S taatliche Organe tunmanchmal noch ihr Übriges, um das Bild eines Problemstadtteils für die Bewohner zu verdeutlichen. So wurden Anrufer*innen bei Hilfe- ersuchen von der Polizei damit konfrontiert, warumsie denn in Essen-Altendorf wohnen würden, ziehen sie doch da weg. Vor einiger Zeit, noch ziemlich zu Anfang meiner Arbeit in Essen-Altendorf sprach ich zusammen mit meinem Kol- legen mit einem „schwierigen“ jungen Bewohner dieses Stadtteils über eine mögliche Drogentherapie. Während des Gesprächs spukte er ein Kaugummi aus. Nachdem ich ihm sagte, dass ich das nicht gut fände, schob er das Kaugummi mit seinem Schuh an eine Mauerkante. Auch das fand ich nicht gut, was ich ihm sagte. Ihm war bekannt, dass wir im Stadtteil auch gegen die zunehmende Vermüllung kämpften. Er nahm dann das Kaugummi und brachte es zu einem na- hegelegenen Mülleimer. Dabei fiel von ihm folgender Satz: Der Satz dieses noch jungenMenschen blieb bei mir haften. Wenn ich mich bereits als junger Mensch so fühle, warum soll ichmich dann nicht auch so verhalten?Wer gibt mir eine Perspektive und wer interessiert sich eigentlich für mich? Auch eine Bemerkung des Leiters des hiesigen Ordnungs- amtes blieb bei mir haften: „Vielleicht haben wir in den letz- ten Jahren viel über die Leute in Altendorf geredet, aber ver- säumt, mit ihnen zu reden.“ Praktische Hilfen Es gibt mittlerweile einige Studien zu den Bedingungen in Problemvierteln. Darin ist vieles richtig und auch wissen- schaftlich fundiert begründet. Es ersetzt aber nicht den un- mittelbaren Kontakt, den die Bewohner*innen z. B. in Es- sen-Altendorf so dringend benötigen. Wer sagt eigentlich denMenschen, die aus anderenWeltteilen hierher kommen, was in Deutschland gut und erforderlich ist? Brauchen wir da nicht viel mehr Hilfestellung? Gerade junge Menschen werden zwischen den Erfahrungen im Elternhaus und den Erfahrungen aus der Schule und besonders den Bedingun- gen auf der Straße hin- und hergerissen. Oder, was auch nicht selten ist, stehen erst einmal allein da, in einer für sie fremdenWelt. Lebensbedingungen verstehen Hier in Essen-Altendorf leben auf engem Raummittlerwei- le Menschen aus 93 Nationen zusammen. Der vorhandene Immobilienbestand verfügt oftmals nur über kleine beeng- te Wohnungen mit einem geringen Anteil von dazugehöri- „Wir sind auch scheiße hier.“ ESSEN, 09.11.2023 Duisburg-Marxloh, Berlin Neukölln, Dortmund-Nordstadt, Essen-Altendorf …. Die Auflistung über sogenannte abgehängte Stadtteile mit hohemMigrationsanteil der Bevölkerung und geringer Perspektive ließe sich beliebig fortsetzen. Tatsächlich leben und wohnen in diesen Re- gionen inDeutschlandMillionen vonMenschen. Das Bewusstsein, mit der Herkunft aus diesenQuartieren gleichzeitig Mensch zweiter Klas- se zu sein, ist ausgeprägt, dazu kommt noch bei vielen die eigene Deklassierung über die ursprüngliche Herkunft. WOLFGANG ZACHEJA: Wie sind Veränderungen in abgehängten Stadtteilen erreichbar?

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