JSF 04-2023i

Jugendschutz Forum 4|2023 4 | TESTKÄUFE Bekam der„zahnlose Tiger“Jugendschutzgesetz mit den Testkäufen ein „scharfes Gebiss“? Wie die Situation in Kommunen ist, dazu eine Auswertung aus Presseberichten D ie damalige Familienministerin Ursula von der Leyen wollte 2007 jugendliche Testkäufer im Jugend- schutzgesetz (JuSchG) festschreiben. Sie knüpfte dabei an die in einigen Kommu- nen schon länger geübte Praxis an, Jugend- liche als Testkäufer einzusetzen. Der Bild am Sonntag sagte sie imOktober 2007: „Die Kon- trollmöglichkeiten sind heutzutage zu lasch. Wenn die Kontrollbehörden nunmit 17-Jäh- rigen in die Läden gehen, um gezielten Hin- weisen auf Gesetzesverstöße nachzugehen, dann bekommt der zahnlose Tiger Jugend- schutzgesetz endlich ein scharfes Gebiss“ (zit. nach Berliner Morgenpost, www.morgenpost.de ) . Schon immer hat es Diskussionen darüber gegeben, wie die wirksame Kontrolle nach dem Jugendschutzgesetz bei der Abgabe von Alkohol, Tabakwaren und jugendungeeigne- teMedien aussehen könnte. Viele Kommunen waren unzufrieden, wenn es um die Frage der Kontrollpraxis beim Verkauf von Alko- hol etc. ging. Letztlich hat(te) man nur die Möglichkeit, auf beobachtete oder zugetra- gene Verstöße gegen die Bestimmungen bei jugendlichen Käufern zu reagieren. Das war ein langwieriger Prozess, zudemnur Einzel- fälle, und führte durch die Gerichtsinstan- zen nicht immer zumErfolg. Das Resultat der Situationwar, dass viele Kommunen auf dem Gebiet der Kontrolle bei der Alkoholabgabe (scheinbar) wenig bis nichts unternahmen. Die negativen Reaktionen auf ihren Ge- setzesentwurf veranlassten die Ministerin damals aber, ihren Vorschlag wieder zu- rückzuziehen. Jugendliche zu nutzen, um Erwachsene „in die Falle“ zu locken, sei „die falsche Botschaft“, dröhnte zumBeispiel der Kinderschutzbund zu demVorschlag derMi- nisterin. Jugendliche würden so zur „Hin- terhältigkeit“ statt zur Ehrlichkeit erzo- gen. Niedersachsens Ex-Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der Testkäufe mit Ju- gendlichen befürwortete, hatte sich damals den Vorwurf gefallen lassenmüssen, er wür- de Kinder zu Spitzeln machen. Gab es Testkäufe schon immer? Dem geg- enüber konnten zahlreiche Verantwortliche in Kommunen die Aufregung nicht nachvoll- ziehen. Sie verwiesen darauf, dass in vielen Gemeinden seit Jahren Jugendliche als Test- käufer imEinsatz sind ( siehe u.a. www.sueddeut- sche.de; 17. Mai 2010 ). Die Ergebnisse der Test- käufe in Hamburg beispielsweise ließ viele Kritiker verstummen. Anfangs bekamen dort 77 Prozent der Jugendlichen alkoholische Ge- tränke, ohne nach dem Ausweis gefragt zu werden. Nachdemdie Stichproben flächende- ckend ausgebreitet und Bußgelder inHöhe von 500 bis 3.000 Euro verhängt worden waren, sank die Quote auf 40 Prozent. Niedersach- sen ermöglichte den Einsatz der jugendlichen Testkäufer schließlich per Erlass. ( Hamburger Abendblatt, www.abendblatt.de vom 21.09.2011 ) Und wie ist die Situation heute? Darauf ge- nerell zu antworten, ist kaum möglich. Es fehlen Untersuchungen zu Häufigkeit und Ergebnissen von Testkäufen, auch von den Kommunen selbst. Umtrotzdemzu einer Ant- wort zu kommen, hat die Redaktion des Ju- gendschutz Forum über 100 Meldungen von Tageszeitungen aus dem Internet zu Testkäu- fen ausgewertet (aus Okt.2021-Sept.2023). Die Presseberichte erhält die Redaktion automa- tisch von Plattformen, die u.a. Themen zum Jugend- schutz verbreiten. Eine eigene, intensive Recher- che imNetz hat die Redak- tion nicht vorgenommen. Bei der Auswertung der 105 vorliegenden Inter- netberichte fällt auf, dass sich Testkäufe auf wenige Kommunen in Deutsch- land konzentrieren. Dies bedeutet aber nicht, dass es woanders keine Testkäufe gibt. Es fehlt die öffentliche Berichterstattung da- rüber. Daher kann die hier vorgenommene Auswertung im besten Falle nur eine Ten- denz über die nicht so berauschenden Ergeb- nisse imSinne des Jugendschutzes aufzeigen. Wie zu erwarten oder zu befürchten, füh- ren die Testkäufe in den meisten Fällen zu negativen Ergebnissen, heißt, die Abgabe- bestimmungen des Jugendschutzgesetzes werden in der Regel nicht eingehalten. Aus 57 Testkaufaktionen mit 1.370 Einzeltest- käufen, über die berichtet worden ist und die von den 105 Presseberichten zur Aus- wertung herangezogenworden können, geht hervor, dass bis auf zwei Testkäufe-Aktio- nen, alle anderen 55 in unterschiedlichem Ausmaß gegen die JuSchG-Bestimmungen verstießen. Die beiden restlichen Testkäufe hatten das positive Ergebnis von „Null-Ver- stößen“: In einem Fall verhielten sich sechs Kioske gesetzeskonform ( lt. Marler Zeitung in der Stadt Oer-Erkenschwick/NRW ), im anderen betraf dies mehrere unterschiedliche Ver- kaufsstellen inMontabaur/Rheinland-Pfalz, bei denen die Testkäufe negativ ausfielen ( ra- diowesterwald.de ) . (Auf die unterschiedlichen Verkaufsstellen, wie Einzelhandel, Kioske, Tankstellen, Gaststätten etc. und auf die un- terschiedlichen Produkte, die testmäßig ge- kauft wurden – Spirituosen, Bier, Wein etc. – kann aufgrund fehlender differenzierter Aussagen in den Presseberichten nicht nä- her eingegangen werden.) Zu dem positiven Ergebnis kann man si- cherlich auch weitere 16 Testkaufaktionen (mit 157 Einzeltestkäufen) hervorheben, wo der Jugendschutz einigermaßen einge- halten worden ist. Verstöße sind nach den Internetberichten in einem Fall nur in 10 Prozent der aufgesuchten Geschäfte, in fünf Fällen von 20 Prozent, ebenso in fünf Fällen von 30 Prozent sowie inweiteren fünf Fällen von 40 Prozent festzustellen. Diese Ergeb- nisse unterhalb der 50 Prozentmarke sind zwar nicht das gewünschte Ergebnis, stellen Zusammenstellung Vorliegende Presseberichte aus dem Internet/Testkaufaktionen 105 Davon auswertungsrelevante Berichte von Testkaufaktionen 57 mit insgesamt einzelnen Testkäufen in Verkaufsstellen 1310 Hinweis: Die hohe Zahl der einzelnen Testkäufe in Verkaufsstellen wird verzerrt aufgrund zweier größerer Aktionen, über die berichtet wurde: 1) Im Rems-Murr-Kreis/Baden-Württemberg fand 2022 eine Überprüfung von 110 Verkaufsstellen statt – mit 65 Verstößen (news.feet-reader.de ) 2) In Berlin wurden in diesem Jahr bei einer Aktion 600 Testkäufen durchgeführt – mit 265 Beanstandungen. ( tagesspiegel.de )

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